Internationale Siegfried Wagner Gesellschaft e.V., Bayreuth
»Wie der Papa«: Kopfstand als Tradition im Hause Wagner
Der Komponist Josef Bohuslav Foerster und seine Frau, die Sängerin Bertha Lauterer-Foerster, begegneten Cosima Wagner im Sommer 1893 als Gäste in der Villa »Wahnfried« in Bayreuth; Bertha Lauterer-Foerster war von Cosima Wagner gebeten worden, die Rolle der Elsa im »Lohengrin« für die Festspiele einzustudieren.
Nachdem ihm Siegfried Wagner als »ein stiller, bescheidener und natürlicher junger Mann von schlichtem, unkompliziertem, gleich bei der ersten Begegnung durchsichtigem Charakter« erschienen war, schildert Foerster eine Begebenheit anlässlich einer Mittagstafel:
Mein Gedächtnis bewahrt die Szene auf, wie Siegfried, als das Essen vorüber war, sich leise vom Tisch erhob, ohne den Wink seiner Mutter abzuwarten, und mit einem Mal in einer Ecke des Speisesaals den Kopfstand machte. Fräulein Eva machte mit einem Blick Frau Cosima auf die ungewöhnliche Evolution aufmerksam, vielleicht war es ihr unangenehm, daß dies in Gegenwart der Gäste geschieht, doch die Mutter bemerkte, sich mir zuwendend (ich saß bei Tische links neben ihr): »Wie der Papa« … Und Siegfried kehrte ruhig, mit gerötetem Gesicht und heiterem Ausdruck auf seinen Platz zurück.
Ein Beispiel dafür, wie durch Ignoranz und Unkenntnis gerade in Bezug auf Siegfried Wagner Fehler erzeugt und kolportiert werden, gibt Eva Rieger in ihrem neuen Buch: Isolde. Richard Wagners Tochter. Eine unversöhnliche Familiengeschichte. Darin zitiert sie aus einem Brief Isolde Beidlers an ihre Schwester Eva Chamberlain: »›Das war ein Müssen‹, war ›Herzensgebot‹!« und erläutert die beiden in Anführungszeichen gesetzten Zitate [Plural!] in Fußnote 46 folgendermaßen: »Zitat [Singular!] aus Meistersinger, III. Akt.«
Dies bezieht sich freilich nur auf das erste Zitat in dieser Briefstelle, das zweite erkennt sie gar nicht oder verwechselt es möglicherweise mit einer Stelle aus dem II. [!] Akt Meistersinger (»Lenzes Gebot, die süße Not …«). Jedenfalls weiß sie ganz offensichtlich nicht, dass es sich hierbei eindeutig um eine Anspielung auf eine Oper von Siegfried Wagner handelt: Sternengebot (op. 5, 1906), in der es um Schicksal und Selbstbestimmung geht:
Höher als aller Sterne Gebot waltet ein Zweites: Des Herzens Gebot!
Der Kontext dieses zweiten Zitats hätte Eva Rieger einen zusätzlichen Aspekt der Situation ermöglicht, die sie an dieser Stelle ihres Buches beschreibt, aus Unkenntnis aber weder verstehen noch einordnen kann. Die Autorin hat in dieser Hinsicht zumindest schlecht recherchiert, denn schon eine einfache Abfrage bei Google hätte ihr sogleich die richtige Spur gezeigt. Doch anscheinend hat sie sich keine Gedanken darüber gemacht, was es mit dem Zitat in dem fraglichen Brief vielleicht auf sich haben könnte, und dass es aus einer Oper des Bruders der beiden korrespondierenden Schwestern stammt, ist ihr gar nicht erst in den Sinn gekommen.
[…] Dabei überging er [Kurt Overhoff; Anm. d. Red.] offenbar aus Unkenntnis die Tatsache, dass das älteste Kind Siegfrieds dessen unehelich gezeugter Sohn Walter Aign (09.06.1901 - 04.12.1977) war, seinerseits Kapellmeister und Studienleiter am Staatstheater Stuttgart und musikalischer Assistent bei den Bayreuther Festspielen. […] Die Abstammung von Siegfried Wagner wurde von Aign selbst meinem ehemaligen Lehrer, Walter Hagen-Groll, bestätigt, der Anfang der 1950er Jahre am Staatstheater Stuttgart Korrepetitor und enger Freund und Schüler Aigns war. Sie ist also nicht, wie von Brigitte Hamann vermutet, ein erst nach Aigns Tod von Peter P. Pachl »konstruiertes« Gerücht.