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Ihr Weg hierher: / Tannhäuser mit Friedensengel. Zur aktuellen »Tannhäuser«-Produktion in Košice

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Zur aktuellen »Tannhäuser«-Produktion in Košice

Richard Wagner komponierte seine am 19. Oktober 1845 im Königlichen Sächsischen Hoftheater uraufgeführte Oper »Tannhäuser« als Kapellmeister der Hofoper Dresden. In die Dichtung übernahm er Motive aus Heinrich Heines Gedicht »Der Tannhäuser«, der Volkssage vom Venusberg und der dorthin verbannten heidnischen Liebesgöttin Venus, und verknüpfte historische Konstellationen und Figuren mit den Sagen vom »Sängerkrieg auf der Wartburg«.
 
Thema ist aber der Konflikt zwischen sinnlicher Leidenschaft und geistiger Liebe, verkörpert durch Venus und Elisabeth, und der moderne Mensch in Zerreißproben durch unauflösbare Gegensätze. In »Tannhäuser« treten historische Figuren auf: Die heilige Elisabeth von Thüringen, Tochter des Königs Andreas II. von Ungarn mit Gertrud von Andechs-Meranien, sowie die mittelalterlichen Dichter Wolfram von Eschenbach, der Verfasser des Ritterepos »Parzival«, und Walther von der Vogelweide. Von besonderer Bedeutung für den Aufführungsort – das Nationaltheater Košice – ist die Figur der heiligen Elisabeth. Ihr ist die Kathedrale in Košice, der größte Sakralbau der Slowakei, gewidmet. Einige Quellen nennen Bratislava als ihren Geburtsort, wo sie ihre ersten vier Lebensjahre verbrachte.
 
In weltlichen und religiösen Texten des Mittelalters erscheint Venus auch als Frau Hulda (Holda), einer anderen Figuration der nordischen Liebesgöttin Freya, oder als Hel, nordische Göttin der Unterwelt.
 
Neben »Der fliegende Holländer» ist »Tannhäuser« die einzige Oper Richard Wagners, die in mehreren Fassungen aufgeführt wird (maßgeblich sind 1845 Urfassung und Dresdner Fassung, 1861 Paris, 1875 Wien). Bis zum Ende seines Lebens rang Wagner um eine verbindliche Fassung letzter Hand. Noch am Vorabend seines Todes in Venedig sagte er »Ich bin der Welt noch einen ›Tannhäuser‹ schuldig.«
 
Die Neuproduktion in Košice ist eine Mischfassung. Sie enthält am Beginn des ersten Aktes das für Paris komponierte Tanz-Bacchanal. Die künstlerische Produktionsleitung von Ondrej Soth, Roland Khem Tóth und Stanislav Trynovský verortet das Künstlerdrama »Tannhäuser« in der ausklingenden Hochphase des deutschen und internationalen Wagner-Kults im frühen 20. Jahrhunderts. Sie rückt Richards einzigen Sohn Siegfried Wagner (1869 - 1930) ins Zentrum – als Künstler und Mann. Siegfried war in Nachfolge seiner Mutter Cosima Wagner seit 1908 alleiniger Leiter der Bayreuther Festspiele. Vor seiner Heirat mit Winifred Williams war er der »begehrteste Junggeselle Deutschlands«. Siegfried glänzte in Bayreuth als innovativer Regisseur, beliebter Dirigent und war Komponist von 14 vollendeten Opern.
 
 

»Tannhäuser« trifft FRIEDENSENGEL

 
 
Die Neuinszenierung unternimmt wie Szymanowskis »König Roger« am Nationaltheater Košice eine biographische Spurensuche neben Phantasien über die Bayreuther »Tannhäuser«-Inszenierung 1930. In diesem Jahr starb Richard Wagners Witwe Cosima am 1. April in Alter von 92 Jahren. Auch Siegfried sollte die Bayreuther »Tannhäuser«-Premiere nicht erleben. Auf einer Probe erlitt er am 18. Juli 1930 einen Herzinfarkt und starb am 4. August 1930. Katharina Wagner, die amtierende Leiterin der Bayreuther Festspiele, ist die Tochter von Siegfrieds zweitem Sohn Wolfgang.
 
Inmitten der grellen, politisch und künstlerisch aufregenden 1920er Jahre suchte Siegfried Wagner für Bayreuth mit gemäßigten Mitteln den Ausweg aus der künstlerischen Erstarrung und Anschluss an zeitgemäße Theatermittel. So verpflichtete er den Choreographen Rudolf von Laban für das Tanz-Bacchanal im Venusberg. Als Mensch war Siegfried ein durch die Zeitgeschichte zerrissener Charakter. Sein ganzes Leben stand er familiär, künstlerisch und als Privatmann unter dem Diktat des »Bayreuther Kreises«. Als Bisexueller wurde Siegfried schon in jungen Jahren das Opfer einer restriktiven Moral. Andererseits sympathisierte er mit rechtskonservativen und nationalsozialistischen Gruppierungen. Seine Witwe Winifred, enge Freundin Adolf Hitlers und Profiteurin des »Dritten Reiches« bis zu ihrem Rücktritt nach Ende des Zweiten Weltkriegs, schützte immer wieder vor den Nationalsozialisten verfolgte Künstler und Mitarbeiter der Bayreuther Festspiele.
 
Von John Kanders Musical »Cabaret« und dem Berliner Kit-Kat-Club zu »Tannhäuser 1930« ist es also nur ein ganz kleiner Schritt: Die Inszenierung in Košice zeigt das ambivalente Klima vor der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten. Einige Figuren der Oper »Tannhäuser« werden realen Personen des »Bayreuther Kreises« zugeordnet – der Sänger Wolfram von Eschenbach Siegfrieds Freund Franz Stassen, einem der erfolgreichsten bildenden Künstler um 1930.
 
Siegfried Wagners Oper Der Bärenhäuter war um 1900 die in Deutschland meistgespielte Oper. Mit seinen Operndichtungen thematisierte Siegfried in frei erfundenen Sujets und historischer Verbrämung brisante Themen. In Košice folgt auf das apotheotische Pilgerchor-Finale der versöhnliche Schlusschor aus Siegfried Wagners Oper Der Friedensengel (op.10, 1914).
 

Roland Dippel
 


Quelle: Originalbeitrag für www.SIEGFRIED-WAGNER.org. – Der Autor ist beratender Dramaturg der »Tannhäuser«-Produktion in Košice, 2023.
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