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Zwei Ottos und ein bedrohter Bart

Internationale Siegfried Wagner Gesellschaft e.V., Bayreuth

 

Otto in Historie, Märchen und Sage

Kaiser Otto mit dem Bart, der in Siegfried Wagners Oper Bruder Lustig zur Opernfigur geadelt wurde, lässt sich den Ottonen der Geschichtsbücher nicht eindeutig zuordnen – es ist nicht ganz klar, ob Otto I. (912 – 973) oder dessen Sohn Otto II. (955 – 983) gemeint ist. Otto I. trägt den ehrenden Beinamen »der Grosse«. Als Sohn des späteren König Heinrich I. sollte es ihm gelingen, die geschichtliche Kontinuität Kaiser Karl des Grossen im Sinne der »renovatio imperii« weiterzuführen: Auch er wurde in Aachen zum König und schließlich 962 in der Peterskirche zu Rom zum Kaiser gekrönt. Seine weitläufige und kompliziert strukturierte Familie bescherte ihm nicht nur zahlreiche kriegerische und intrigante Gegenspieler in der eigenen Sippe, sondern ermöglichte ihm andererseits auch eine ausgefeilte Heiratspolitik, mit welcher er seine Macht zu wahren wusste. Auch als Kriegsherr bewährte er sich, sein Sieg gegen die Ungarn auf dem Lechfeld 955 sicherte ihm hohes Ansehen. Sein Sohn folgte ihm in die Regierung, nachdem er seine Lehrzeit als Mitkaiser hinter sich gebracht hatte. Auf seinem im Oktober 980 begonnenen Italienzug sicherte er dem Papsttum die Stellung gegen den stadtrömischen Adel. Sein Vorstoß nach Süditalien endete allerdings in einer vernichtenden Niederlage gegen die Araber beim Kap Colonne (13. Juli 982).

Einer dieser beiden so kriegerischen wie kaiserlichen Ottos, Vater oder Sohn, hinterließ nun also in der Sage eine Spur, die Siegfried Wagner in den Inhalt seines opus 4 aufnahm. Die Sage handelt von einem Zusammenstoss des bärtigen Ottos mit Heinrich von Kempten, einem mittelalterlichen Revoluzzer, der heute wohl Hollywood interessieren könnte.

Der Germanist und Dichter Karl Simrock (1802 – 1876) nahm sich der Sage in seinem Epos »Otto mit dem Bart« an. Er ging dabei davon aus, dass der erste Otto der mit dem legendären Bart gewesen sein müsse:

    Der erste der Ottonen
    War ein gestrenger Mann,
    der keinen pflog zu schonen
    Dem er in Zorn entbrann.
    Hat er ihm Tod geschworen
    Bei seinem roten Bart,
    So war der Mann verloren,
    Sein Blut war nicht gespart.

(Alexander Schöppner: Bayerische Sagen, Band 2, München o.J., S.21)

Und so kam es, wie es kommen musste und dem König begegnete ein Frevel, den er nur noch mit blutigster Rache entgegnen zu können meinte: Der Held Heinrich von Kempten musste zusehen, wie der kaiserliche Truchsess einen Edelknaben für eine Unbedachtsamkeit grausam schlug und versuchte, Gewalt mit Gewalt zu heilen – was für den Truchsess tödliche Folgen hatte. Die Sagensammlung der Gebrüder Grimm schildert das Folgende so:

    Da nahm Herr Heinrich einen großen Knüttel und spaltete des Truchsessen Schädel, dass er wie ein Ei zerbrach und der Mann tot zu Boden sank.

    Unterdessen hatten die Herren Gotte gedient und gesungen und kehrten zurück; da sah der Kaiser den blutigen Estrich, fragte und vernahm, was sich zugetragen hatte. Heinrich von Kempten wurde auf der Stelle vorgefordert, und Otto, von tobendem Zorn entbrannt, rief: ‚Dass mein Truchsess hier erschlagen liegt, schwöre ich an Euch zu rächen! Sam mir mein Bart! Als Heinrich von Kempten diesen teuren Eid ausgesprochen hörte und sah, dass es sein Leben galt, fasste er sich, sprang schnell auf den Kaiser los und begriff ihn bei dem langen roten Barte. Damit schwang er ihn plötzlich auf die Tafel, dass die kaiserliche Krone von Ottos Haupte in den Saal fiel, und zuckte – als die Fürsten, den Kaiser von diesem wütenden Menschen zu befreien, herzusprangen – sein Messer, indem er laut ausrief: ‚Keiner rühre mich an, oder der Kaiser liegt tot hier! Alle traten hinter sich, Otto, mit großer Not, winkte es ihnen zu; der unverzagte Heinrich aber sprach: ‚Kaiser, wollt Ihr das Leben haben, so tut mir Sicherheit, dass ich genese. Der Kaiser, der das Messer an seiner Kehle stehen sah, bot alsbald die Finger in die Höhe und gelobte dem edlen Ritter bei kaiserlichen Ehren, dass ihm das Leben geschenkt sein solle.

(Jakob und Wilhelm Grimm: Deutsche Sagen, München und Leipzig 1911, Nr. 472)

Diese ruchlose Erpressung konnte natürlich nicht stillschweigend unter den Tisch gekehrt werden, und Heinrich von Kempten musste außer Lande leben und war weise genug, weiteren Kontakt mit dem Kaiser zu meiden. Bis er durch seinen Lehenseid plötzlich doch wieder in die Nähe des Kaisers gelangt und ihm dabei prompt eine skurile Situation wiederfährt, die es ihm möglich macht, den Kaiser aus Not zu erretten. Er springt zwar dazu aus seinem Badezuber und hat außer seinem Schwert daher gerade nichts am Leibe, vermag aber trotzdem, die Feinde des Kaisers in die Flucht zu schlagen. Dieser, der seinen Befreier nicht erkannt hatte, muss lange insistieren, bis er seinen Namen erfährt – keiner wagt, ihm den einstigen Schänder seines Bartes nun als Lebensretter zu melden. Dann aber lässt er den wilden Heinrich vor sich führen und versöhnt sich mit ihm.


Sabine Busch-Frank


Quelle: Programmheft
Bruder Lustig, Theater Hagen 2000 (mit freundlicher Genehmigung der Autorin)
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