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Gottfried Wagners Familiensicht

Ralph Giordano hat nicht nur das Vorwort zur Autobiographie des fünfzigjährigen Wagner-Urenkels verfaßt, er war auch der Anreger, Mentor und Motor zu Gottfried Wagners Buch, einem Kampf von »David gegen Goliath« (Ralph Giordano), von einem Urenkel gegen Vater und Urgroßvater, von einem Prosemiten gegen die Antisemiten seiner Familie und ganz Deutschlands mit deren Führer Wolf, alias Adolf Hitler, daher der Titel des Buches: »Wer nicht mit dem Wolf heult«.
 

 

Gottfried Wagner, der 1947 geborene Sohn des derzeitigen Festspielleiters Wolfgang Wagner, hatte vordem durch eine Dissertation über Kurt Weill und durch Opern-Inszenierungen von Beethoven, Busoni, Berlioz und zuletzt auch Wagner (»Lohengrin« in Dessau) auf sich aufmerksam gemacht, seine Karriere als Regisseur und Dramaturg aber einige Jahre zugunsten einer Banklaufbahn unterbrochen. Das für ihn in der Kombination von Kunstausübung und Wirtschaftspraxis naheliegende Festspielerbe hat dessen Vater – wie auch diesbezügliches Interesse zahlreicher weiterer Wagner-Urenkel – rigoros ausgeschlossen. Nach der Scheidung von seiner ersten Frau Ellen Drexel wollte der nunmehr achtundsiebzigjährige Festspielleiter von seinen Kindern aus erster Ehe kaum mehr etwas wissen. So blieb er auch der Hochzeit seines Sohnes fern und weigerte sich, dessen italienische Schwiegermutter im Festspielhaus zu empfangen. Alles dies wäre unter der Rubrik Familienklatsch in der Regenbogenpresse besser aufgehoben, ginge es dabei in Bayreuth nicht auch um Politik, um eine sehr rechtsgerichtete, ja immer noch nazistisch orientierte Politik, wie Gottfried Wagner schlagkräftig behauptet und mit Zitaten aus dem Munde seines Vaters zu belegen sucht. (Etwa: »Wenn er [Hitler] die Juden für sich gewonnen hätte, dann hätten wir den Krieg gewonnen. Das war aber der einzige wirkliche Fehler, den Hitler beging.«)
 
Das Schlagwort des Covers, »Bayreuther Lebenslügen – ein Wagner-Urenkel packt aus«, verspricht nicht zuviel, ergänzt diese Publikation in der Neuaufarbeitung des radikalen Antisemitismus von Richard Wagner in Schriften und Werken doch eine weitere Neuerscheinung, die Richard Wagners Oeuvre als direkte Aufforderung jener Untaten deutet, die Adolf Hitler in seinem Namen realisiert hat (Joachim Köhler, »Wagners Hitler – Der Prophet und sein Vollstrecker«). Größer als das (Kinder-) Porträt des Autors Gottfried Wagner und des Stammvaters Richard prangt auf dem Buchdeckel [der ersten Auflage; A.B.] das von »Onkel Wolf«, wie Wagners Enkel Hitler nannten, oder auch »U.S.A.«, wie Winifred und ihre Kreise Hitler nach dem zweiten Weltkrieg mystifizierten, »unser seliger Adolf«. Geradezu faszinierend muss auf Gottfried – trotz aller politischen Vorbehalte und Gegensätze – seine Großmutter Winifred gewirkt haben, die er noch bis zuletzt besucht hat. Gottfried Wagner bekennt sich zu seiner im Dritten Reich emigrierten Tante Friedelind, jedoch ohne sich auf deren Überlieferungen zu stützen. Köstlich zu erfahren, dass Gottfried Wagner selbst der Urheber der Farbattentate auf die grauenhaft martialische Wagnerbüste Arno Brekers war (die lokale Presse hatte über die anonyme Tat, kurz vor Festspielbeginn, berichtet). Gottfrieds verständliche Aversion gegenüber dem NS-Bildhauer wurde von seiner Tante Friedelind nicht geteilt, die noch in den Achtzigerjahren Arno Breker für die Schaffung einer neuen Büste vorgeschlagen und den hierüber fassunglosen Mitgliedern der von ihr lange Jahre präsidierten Internationalen Siegfried Wagner Gesellschaft erwidert hatte, Breker sei gleichwohl der beste lebende deutsche Bildhauer und im Ausland trotz seiner Nazi-Zugehörigkeit populär … Die Wagners und ihre Meinungen sind offenbar ein weites Feld, auf dem bisweilen Ultralinks und Ultrarechts deckungsgleich sein können.
 
Das jedoch steht nicht bei Gottfried Wagner. Hingegen erfährt der Leser von der erbitterten Feindschaft der gemeinsamen Festspielleiter nach 1945, der Brüder Wolfgang und Wieland. An Wieland Wagner, den Gottfried als Künstler – im Gegensatz zu seinem Vater (»konventionell bis unerträglich«) – verehrte, störte ihn der Zynismus seines Onkels, der den »Salonsozialisten markierte«. Gottfried Wagner entschlüsselt, dass das Bayreuther Gesamtgastspiel in Barcelona im Jahre 1955 noch der politischen Verbindung Hitler-Franco zu verdanken war, wie denn auch Hitler und Franco daselbst in Toasts gefeiert wurden. Linke Tendenzen der Festspiele in den Sechziger- und Siebzigerjahren dekuvriert er als aufgesetzt und nennt die in Bayreuth dirigierenden jüdischen Dirigenten Barenboim und Levine »Alibi-Juden«.
 
Das Buch ist flüssig geschrieben und zu zwei Dritteln eine durchaus spannende Lektüre. In der Darstellung seiner neuen Lebensaufgabe, der von Gottfried Wagner mitbegründeten Post-Holocaust-Dialog-Gruppe, einer Vereinigung von Nachgeborenen der Täter und der Opfer des NS-Regimes, geht dem Autor das Herz über, was ihn zu einer nahezu tagebuchartigen Ausführlichkeit verführt. Derartige Ausführlichkeit lassen frühere Kapitel bisweilen vermissen.
 
Gottfried Wagner wurde es zweifelsohne nie leicht gemacht. Als Kind oft in Internate abgeschoben und zu offiziellen Anlässen als Wagner-Sproß gehätschelt, reichte später für den Eigenwilligen, mit seinen »Versuchen, Wagner vom Sockel zu stürzen«, der »Arm Bayreuths« sehr weit, insbesondere in der deutschen Theaterlandschaft. Und geradezu zerrissen manifestiert sich Gottfried Wagners Wesen auch in seiner Biographie – nicht nur angesichts des »Banns aus Bayreuth« und der Auschwitz-Erfahrung als »weiterem Wendepunkt« in seinem Leben.
 

 

Oft blieb er seltsam unentschieden, etwa bei der Mitwirkung an Syberbergs Film »Winifred Wagner« und in seiner Rolle als Gegenspieler Syberbergs nach Abschluß der Dreharbeiten. Warum aber auch er wider besseres Wissen der Vereinfachung und damit der Verfälschung Dienst leistet, bleibt sein Geheimnis: Nicht nur aus den Memoiren seiner Tante Friedelind, sondern auch aus der Kenntnis der Werke seines Großvaters sollte Gottfried Wagner deutlich sein, dass dieser eine politische Einstellung hatte, die in keiner Weise mit der politischen Entwicklung, hin zum Dritten Reich, konform gehen konnte. Gottfried Wagner beläßt es gleichwohl beim fragwürdigen Zitat des Rosa-Eidam-Briefes aus dem Jahre 1923 (»Meine Frau kämpft wie eine Löwin für Hitler! Großartig!«), obgleich die Eidam-Briefe nur als dubiose Abschrift aus den Fünfzigerjahren (!) vorliegen, während genügend gegenteilige Dokumente des erklärten Philosemiten und Antimilitaristen Siegfried Wagner im Original existieren. Insbesondere aber hat der Wagner-Sohn 1928/29 eine Oper komponiert, in der Wolf alias Hitler als brutal-sadistischer Räuberhauptmann zur Strecke gebracht wird; das Textbuch zu dieser Oper hat er 1929 veröffentlicht und durch einen geschickten Schachzug allen Bayreuther Kreisen zugestellt. Mehr an Zivilcourage kann ein Künstler wohl kaum beweisen!
 
Gottfried Wagner berichtet auch, wie übel seiner Mutter Ellen von seinem Vater in ihrer Ehe mitgespielt wurde, referiert aber nicht deren Annahme, sie sei selbst jüdischer Abstammung und Wolfgang Wagner mit Wissen und Absicht der Nazis vermählt wurden, auf dass markante Nasen- und Backenknochen – als vermeintlich Wagnerische Züge – bei ihren Kindern erneut hervortreten sollten … Psychologisch scheint dies als Fakt nicht unwesentlich, wie auch, dass Wolfgang Wagners zweite Frau als eine geborene Amann dem Verlegerhaus der Nazischriften entstammt. Bisweilen scheinen Gottfried Wagner noch Rücksichten an jenes Erbe zu binden, dessen Geschicke er uneingestanden doch gerne lenken würde. Der Familiendynastie hat er durch die Adoption eines rumänischen Waisenkindes, das nun als Eugenio Wagner ein Vertreter der fünften Wagner-Generation ist, ein Schnippchen geschlagen.
 
Da es Gottfried Wagner unmöglich erscheint, Richard Wagner »in den genialen Komponisten einerseits und den Chefideologen andererseits aufzuspalten«, obgleich dies auch zahlreiche seiner jüdischen Freunde tun, die Wagners Musik lieben, fordert er u.a., man solle Richard Wagners »Parsifal« ab sofort nicht mehr spielen. Die Deutung des »Parsifal« als Ersatzreligion um das arische Blut ist nicht neu, man findet sie beispielsweise in Robert Gutmans Wagner-Biographie, doch sie krankt m.E. an der Gleichsetzung von Kundry und Judentum; zwar war – laut Klingsor – Kundry in einem ihrer Vorleben die jüdische Herodias, aber auch Gundryggia, also eine nordische Walküre – und damit sicher »arisch«. In seiner drastischen Forderung, »Parsifal« nicht mehr zu spielen, ist sich Gottfried Wagner – wenn auch aus anderen Beweggründen – mit »Großonkel« Wolf einig. Der hatte nach seiner Machtergreifung »Parsifal«-Aufführungen de facto untersagt, und da das Bühnenweihfestspiel in den Kriegsjahren auch in Bayreuth nicht gezeigt wurde, gab es im gesamten Deutschen Reich keine »Parsifal«-Aufführungen; nachfragende »Parsifal«-Fans wurden damals auf eine Neuinszenierung nach dem »Endsieg« vertröstet …

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