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Onomapoetik und Poesie

Internationale Siegfried Wagner Gesellschaft e.V., Bayreuth

 

Namen als Schlüssel der Interpretation

Wie stets in den Opern Siegfried Wagners, so auch in Opus 9, verrät die Wahl der Namen viel über deren Beweggründe und Psychologie.

 
 

Ellida, der weibliche Dreh- und Angelpunkt der Opernhandlung, trägt wohl nicht von ungefähr den Namen der weiblichen Hauptrolle von Ibsens »Die Frau vom Meer«. Das 1889 in Christiana uraufgeführte Theaterstück des norwegischen Dramatikers Henrik Ibsen (1828 – 1906), des Begründers des modernen, gesellschaftskritischen Dramas, dürfte Siegfried Wagner in dem gern und häufig von ihm besuchten Deutschen Theater in Berlin gesehen haben. In Max Reinhardts Kammerspielen gastierte 1909 Eleanora Duse als Ellida Wangel, aber auch an anderen deutschen Bühnen stand jenes Drama auf dem Spielplan, in welchem Ellida ihrem Mann, dessen zweite Frau sie ist, die Frustration ihrer Beziehung erklärt. Der in Ibsens Frauengestalten häufig betonte emanzipatorische Drang nach Freiheit und Selbstbestimmung spricht sich auch in Siegfried Wagners 1913 vollendeter Opernhandlung aus. Und die in Ibsens »Die Frau vom Meer« vollzogene »Entlarvung der menschlichen Beziehungen als käufliche Entartungsform« (Christoph Trilse, Klaus Hammer, Rolf Kabel: Theaterlexikon. Berlin 1977, S. 256) ist ebenso ein Movens der Heidenkönig-Handlung. Ibsens Ellida, sehnt sich nach einem Fremden, dem sie in ihrer Jugend begegnet war; als dieser wiederkehrt, entscheidet sie sich jedoch für ihren Ehemann und stirbt. Auch für Siegfried Wagners Ellida ist ihrem Gatten untreu und opfert sich schließlich doch für ihn auf.

 

Ihr Liebhaber Otmar taucht auf der Opernbühne selbst nicht auf. Sein Name bedeutet so viel wie »berühmt für seinen Besitz«. Stellvertretend erscheint Jaroslaw, der den zuvor in Othmars Besitz befindlichen Ehering Ellidas in Händen hält, um mit diesem Besitz Ellida politisch und sexuell zu erpressen. Jaroslaws Name ist gebildet aus dem Slawischen »jar« = »kühn, stark, zornig, streng«  und »slava« = »Ruhm, Ehre«. Diese Eigenschaften umreißen den Heerführer der Polen, dessen Leidenschaft die volle Sympathie des Komponisten gehört, wie aus der Komposition deutlich wird.

 

Ellidas Gegenspielerin ist Gelwa, deren Name germanisch »Gold«, im Neuhochdeutschen »Gelb« bedeutet, wobei die Farbe Gelb wiederum für die Eifersucht steht, die Gelwas Handeln bestimmt. Denn sie liebt Radomar und versucht, Ellida aus seinem Leben zu verdrängen.

 

Radomar trägt einen aus den althochdeutschen Silben für »Ratgeber« und  »berühmt« gebildeten Namen. Die in seinem Wesen anzutreffende Vereinigung von »Hirn und Herz« – Gelwa nennt ihn den »Stärksten« und »Klügsten« – ist denn auch der Grund, warum die Wenden ihn als Nachfolger ihres gemordeten Königs ausersehen haben.

 

Gelwa hat zwei Brüder, Waidewut und Krodo. Waidewut zündet eine Intrige, durch die er selbst anstelle von Radomar zum König gekrönt wird. Um Radomar beiseite zu räumen lässt er den Priester verkünden, dass sich zur Versöhnung des Gottes Percunos der König selbst opfern müsse.

 

Die Namen Waidewut und Krodo übernimmt Siegfried Wagner aus Sagen, die insbesondere Ludwig Bechstein aufgezeichnet hat.  Das 228. Kapitel von Bechsteins Deutschem Sagenbuch trägt die Überschrift »König Widewuto opfert sich selbst«. Dort ist zu lesen:

    »Da König Widewuto oder Waidewut, wie er auch genannt wird, zu hohen Jahren gelangt war und die Lande an seine Söhne alle verteilt waren und er fühlte, dass er nicht mehr kühnlich gegen die Feinde stehen könne, da ließ er nahe der heiligen Eiche zu Romove einen Holzstoß schichten und Tieropfer darbringen, er selbst aber stand in allem Glanze seiner Königswürde, hielt eine Schale voll Met und goß diese einer schwarzen Kuh zwischen die übergoldeten Hörner und sprach vor dem Volke, das mit brennenden Fackeln den lohenden Scheiterhaufen umstand, ein Gebet zu seinen Göttern: Euch alle, ihr Götter der Erde und des Meeres, des Lichtes und der Finsternis, dich, Donnerer Perkunos, dich, Pikollos, Gott des Todes, und dich, Potrimpos, Gott der Schlachten, rufe ich an, dass euer Auge auf mich sich lenke und senke, auf mich, den König, der seinem Volke sich selbst zum Opfer darbringt, damit es siege und in Ruhm und Ehren fortbestehe für alle Zeiten! Und als der König diese Worte gesprochen, stürzte er sich mutvoll in die lodernde Flammenlohe, und das Volk warf seine Fackeln über ihn und erhob das Geschrei der Klage und den Gesang der Schlacht, und die Krieger schlugen dreimal auf ihre Schilde, dass sie dröhnten.« (Bechstein: Deutsches Sagenbuch. Leipzig 1853, S. 583)

Den von seiner wütenden Emotion geleiteten, waldverhafteten Waidewut (vom Althochdeutschen »witu« = Wald) kostet sein Ehrgeiz schließlich Ehre und Leben, denn die als Waldheilige Poggesana (siehe unten!) vermummte Ellida lässt es gar nicht erst zur Krönung Radomars kommen. Waidewut, der sich selbst zum König gekrönt hat, bereits vom Tode gezeichnet, wird von den polnischen Soldaten entmachtet.

 

Radomar tötet Gelwas Bruder Krodo, nachdem dieser Ellida aufgrund ihrer Buhlschaft verhöhnt hat. Dieser Name nimmt Bezug auf den gleichnamigen Götzen der alten Sachsen, der als alter Mann, in der einen Hand ein Rad, in der andern ein Gefäß mit Früchten haltend und auf den Flossen eines Fisches stehend, dargestellt wurde. Er galt als Gott der Ur- und Lebenselemente, Sinnbild der Gesundheit und Fruchtbarkeit. Unweit von Bad Harzburg stand auf einer heidnischen Kultstätte eine große Statue, der Götze »Krodo«.

 

Schwankend in seinem Handeln, ist der Mönch ein namenloser Funktionsträger. Das Ende der Opernhandlung, in der er gleichwohl das Zentrum bildet, gemahnt an eine von F. W. Meister, Herzberg am Harz, (Goslar 1853, S. 68) aufgezeichnete Begebenheit:

    »Zur heidnischen Zeit, als das Volk am Harze den Götzen Krodo angebetet und diesem Opfer gebracht habe, sei ein ehrwürdiger Eremit auf dem Felsen, wo die Steinkirche liegt, unter dem versammelten Volke in dem Augenblick erschienen, als dieses dem Krodo sein Opfer dargebracht, und habe sodann den Heiden die Lehre des Evangeliums gepredigt. Das Volk aber sei über solche Neuerung in Zorn und Wuth gerathen und habe den Eremiten zu steinigen gedroht. Dieser aber habe, von Muth und Kraft in der schweren Stunde gestärkt, einem seiner Trabanten die hölzerne Streitart entwunden und in der Fülle seines, auf den Allmächtigen gestützten Glaubens geschworen: ‚So gewis, als ich mit diesem schwachen Werkzeuge dieses feste Gestein spalte, so gewis, als dieses Holz einen Tempel zur Verehrung des alleinigen Gottes aus diesem unerschütterlichen Felsen schaffet, so wahr ist das Wort des Evangeliums, welches ich euch predige."

Im Gegensatz zu anderen klerikalen Figuren bei Siegfried Wagner ist der Mönch vergleichsweise positiv gezeichnet; eine Regieanweisung in der Partitur (I,1) klassifiziert ihn als Franziskaner, was wohl als Hinweis auf die Vorliebe von Siegfried Wagners Großvater Franz Liszt zu Franz von Assisi und den pantheistischen Zügen in dessen Lehre gelten darf.

 

Der Name seines Haupt-Gegenspielers, des Kriwe-Kriweito im »Geheimen Bund«, verweist auf die Funktion des Oberpriesters hin, denn der Name Bodo bedeutet im Althochdeutschen »Bote, Gesandter, Gebieter", im Angelsächsischen »Gebieter«. Die Waidelottin im »Geheimen Bund« heißt Wera; ihr Name kommt aus dem Russischen und bedeutet »Glaube, Zuversicht, Religion« und ist damit für die Priesterin treffend gewählt.

 

Wie der Mönch, so tragen der Bauer, der Wachtmeister der polnischen Truppe, ein Bursche, eine Magd Gelwas und ein Mädchen keinen eigenen Namen. Anders hingegen der Mühlknecht Hoggo, Handlanger der Zeremonie des Kupâlo-Festes. Sein Name taucht auf in den »Sagen von dem König Waidewuttus« (Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staats. Glogau 1868/71, Bd. 2, S. 515): »Hoggo, dem zehnten Sohn, überwies der König das Land zwischen Weseke, Bassaro, Drusino (Drausen), dem Wasser. (…) Das Land aber wurde das Hoggerland (Hockerland) genannt oder auch Poggesanien nach seiner Tochter Poggezana.« (Als Waldheilige Poggesana verkleidet sich Ellida im dritten Akt.) Der Mühlknecht Hoggo wird mitsamt dem Mühlgötzen vom aufgebrachten Volk ins Wasser geworfen, womit sich der assoziative Kreislauf zum legendären Wasserfürsten Hoggo schließt. Grässes »Sagenbuch des Preußischen Staats" hat Siegfried Wagner vermutlich als Quelle verwendet, denn der Sage 496 von »Hoggo's Töchtern" folgt als Nummer 497: »Die heilige Eiche zu Romove" (siehe unten!).

 

Die Rolle der Wehklage hat Siegfried Wagner Bechsteins Deutschem Sagenbuch entnommen. Dort heißt es im 303. Kapitel, »Die Wehklage«:

    »Auf der Lüneburger Heide wandelt das Klageweib, ein riesiges hohläugiges, todbleiches Gespenst, in Sturmnächten im wehenden Leichengewand umher und heult durch die Nächte mit grausenvollem Wimmern. Über die Häuser, darinnen jemandem der baldige Tod bestimmt ist, streckt das Gespenst den langen Knochenarm, und ehe der Mond sich vollendet hat, ist auch eine Leiche im Hause. Man weiß auch in Thüringen von diesem Nachtgeist zu sagen und nennt ihn dort Wehklage, so in den Städten Weimar, Erfurt und nach dem Harze herüber. Dunkel, wie die Zeit seines Erscheinens, ist dieses Gespenstes Ursprung und in Schauer gehüllt." (Bechstein, a.a.O.,  S. 764; vgl. auch Bechstein, Nr. 568 und 804)

Ergänzend ist in Grässes »Sagenschatz des Königreichs Sachsen« zu lesen: 

    »Die Wenden stellen sich die Boze sedleschko oder Wehklage als ein Wesen in Gestalt eines schönen weißgekleideten Kindes oder auch einer weißgefiederten Henne vor und halten es für eine Art Schutzgeist, welcher eine bevorstehende Gefahr oder ein bald zu befürchtendes Unglück durch Klagen und Weinen anzeige und hierdurch davor zu warnen suche. Wenn es sich hören läßt, so kann man auch eine Frage nach dem Grunde seines Weinens thun, worauf man aber meist eine unbestimmte Antwort erhält."

Und an anderer Stelle heißt es:

    »Im Erzgebirge gibt es ein Gespenst, die sogenannte Klagefrau oder Klagemutter, diese geht vor das Haus, wo ein Kranker liegt, und fängt an jämmerlich zu heulen; will man nun wissen, ob derselbe stirbt oder nicht, so wirft man vor die Thüre von oben ein Tuch herab, das demselben gehört, nimmt jene, die nun zu heulen aufhört, dasselbe mit fort, so stirbt er, läßt sie es aber liegen, so findet das Gegentheil statt. Im Voigtlande kommt dasselbe Gespenst auch vor und dort sagt man, dasselbe habe die Gestalt eines großen weißen Ballen und wälze sich so auf der Straße fort.« (Grässe: Sagenschatz des Königreichs Sachsen. Dresden (2) 1874,  S. 1634)

Wieder einmal ist festzustellen, dass es Siegfried Wagner bei der Wahl der Namen für seine Opernfiguren es einerseits darum ging, Namen zu suchen, die für die Opernliteratur Novitäten darstellten, andererseits aber Assoziationsketten zu ermöglichen, die wiederum Rückschlüsse und Hilfestellungen zur Deutung der Opernfiguren selbst sind. 

 

Quellen, soweit im Text nicht angeführt:  Wilhelm Vollmer: Wörterbuch der Mythologie. Günther Drosdowski: Duden Lexikon der Vornamen. Mannheim (2) 1974. Horst Naumann (Hd.): Familiennamenbuch. Leipzig 1987. Hans Bahlow: Deutsches Namenslexikon. München 1967


Peter P. Pachl


Quelle: Programmheft zur Aufführung von Der Heidenkönig, Solingen 2004 (mit freundlicher Genehmigung des Autors)
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