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Die Hoffnung stirbt zuletzt

Internationale Siegfried Wagner Gesellschaft e.V., Bayreuth

 

Bezüge und Beziehungen

Wie in allen Opern Siegfried Wagners, sind auch in diesem anspielungsreichen Werk neben autobiographischen wieder mancherlei Verweise auf sein eigenes wie auf das Oeuvre seines Vaters zu entdecken. Schon der Titel erscheint als Spiegelung zu »Tristan und Isolde«, was von Adelasia deutlich angesprochen wird: »Doch nicht Liebe schloß den Bund: / Ein süßer Klang sonst das Wörtlein ‚Und« (III/2) nimmt unmissverständlich Bezug auf Isoldes »Dies süße Wörtlein: und, / was es bindet, / der Liebe Bund« (II/2), nachdem auch Rainulf zu Beginn in ähnlicher Richtung räsoniert: »Rainulf und Adelasia! Es kläng ganz schön zusammen! / Und doch ist mir, als wenn Liebe sie nicht verbinde!« (I/4)

Weniger explizit, doch für Kenner genauso spannend sind die Anspielungen auf »Der fliegende Holländer« und »Das Rheingold«, mit denen Rainulf den Priester provozieren will (I/5): »Von einem Verbrecher sagte man mir: / ‚Verdammt sei er in Ewigkeit, / Durch Qual und Leid zu wandeln!«. Die dialektische Ironie, mit der er – Rainulf, i.e. Siegfried Wagner – dann die Mahnung Erdas: »Alles, was ist, – endet!« (»Das Rheingold«, 4. Szene) in das phantastische Szenario überführt: »Ja was wird dann aus der Ewigkeit? / Bleibt sie allein im Äther-Saal / Und tanzt und tanzt im Kreise herum?«, vermag den Priester allerdings nicht zu beeindrucken.

Parallelen zeigen sich auch zu »Lohengrin« in der Gegenüberstellung von Christentum und Heidentum, deren Antagonismus bei Wagner d. Ä. die dramatische Folie bildet, hier aber – der historischen Schilderung des Grafen von Schack folgend – nicht nur in friedlicher Koexistenz im Sinne Lessings aufgelöst, sondern zu konspirativer Kooperation gesteigert ist: Priester und Priesterin verbünden sich im Komplott zur Verbrechensaufklärung und Täterüberführung miteinander. Ausser alttestamentlichen Bezügen, die wiederum Rainulf gleich zu Beginn zu I. Mose 25, 24–34, herstellt (I/4), finden sich zudem zahlreiche Anrufungen mythologischer Gestalten und Gottheiten des klassischen Griechenlands, das selbst als das pfaffenlose »verlorne Paradies« besungen wird (II/10).

Zu »Parsifal« erschließt sich ein zusätzlicher Bedeutungszusammenhang über den ersten Brief des Paulus an die Korinther: »Nun aber bleibt Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei, aber die Liebe ist die größte unter ihnen« (I. Kor. 13, 13). Während Richard Wagner in seiner programmatischen Erläuterung des »Parsifal«-Vorspiels für König Ludwig II. diese Trias noch zur Frage »Liebe – Glaube –: Hoffen?« umformuliert, wird sie bei Siegfried Wagner resignativ verstümmelt: »Die Hoffnung schwand! Es bleibt uns: Glaube und Liebe!« (III/2). Mit diesen Worten Adelasias schließt die Oper, denen allerdings das versöhnliche Thema der Friedenshymne unterlegt ist, die Siegfried Wagner 1918, noch vor dem Ende des Ersten Weltkriegs, in Siegeserwartung komponiert hat.

Doch welche oder wessen Hoffnung ist eigentlich gemeint? Adelasia jedenfalls hofft von Anfang an nicht auf die Erwiderung ihrer Liebe zu Osmund – uneigennützig unterstützt sie ja dessen Heiratspläne mit Beata und macht dabei weniger den Eindruck einer unglücklich Liebenden als einer tatkräftig Handelnden: Neben Rainulf ist sie die einzige agierende Figur des Stücks, auf die die übrigen bloß reagieren. Ihren Liebesverzicht erklärt sie der verwunderten Albiria lakonisch, doch bestimmt: »Weil ich ihn liebe wünsch ich ihm Glück!« (I/8) Den anderen der beiden ungleichen (Halb-) Brüder, Rainulf, liebt sie dagegen vor allem deshalb nicht, weil er von der Mutter bevorzugt wird – was diese auch zugibt: »Wer kann es erklären! Geheimnisse, die nur Mütter fassen!« (I/8). Das Geheimnis besteht übrigens darin, dass Rainulf einer ausserehelichen Affäre Albirias entstammt, ein Umstand, von dem niemand etwas weiss und der für den Handlungsverlauf auch keine Bedeutung hat, der jedoch ein moralisch konterkarierendes Schlaglicht auf Rainulfs wiederholte Denunziation König Tankreds als »Bastard« (I/2, I/9 und II/2) sowie auf Albirias Verbot der nicht standesgemäßen Beziehung von Osmund und Beata (I/7) wirft.

Adelasia praktiziert eine äusserst aktive »Erlösung durch Liebe«, nämlich eben nicht als Liebestod, sondern als Liebesleben – eine Variante, die Richard Wagner so nie in den Sinn gekommen wäre. Im Bestreben, die Intrige Rainulfs aufzudecken und ihn zum Geständnis des Raubmordes zu bewegen, um dadurch ihn und die wie Hamlets Vater herumspukende Albiria zu erlösen (III/2) und Osmund zu rehabilitieren, sieht sie sich als Werkzeug Gottes (I/10), riskiert den Verlust ihrer Tugend (II/3), ihrer Ehre (II/4) und sogar ihres Lebens (II/8) und – erreicht ihr Ziel. Das Erstaunliche daran ist, mit welcher Selbstverständlichkeit alle Beteiligten von Adelasias Bereitschaft zu altruistischer Hingabe und vollständiger Selbstaufopferung ausgehen. Ihr Bruder zeigt sich anfangs wohl noch skeptisch, ist dann aber schnell zu überzeugen: »Der Himmel schütze Dich!« (II/3), und Marta zweifelt nicht einen Augenblick daran, dass Adelasia sich des halbwaisen Königssohns annehmen wird (wobei noch zu fragen wäre, warum das nicht dessen Mutter Sibylle selbst übernimmt): »Dort kniet sie, die Gute! / Sie wird Erbarmen fühlen!« (III/2). Adelasias einseitige Zuneigung zu Osmund kommt zwar mehrfach zur Sprache, sämtliche Ereignisse entwickeln sich auch mehr oder weniger unmittelbar daraus, doch Siegfried Wagner macht wirklich nicht viel Aufhebens davon – Osmund bedankt sich am Ende noch artig und kurz: »Heil Dir, die das Werk vollbracht! / Du edles kühnes Herz!« (III/2) und geht dann mit Beata – zum Traualtar.

Vielleicht fällt Adelasia der Verzicht auf Osmund auch deswegen so leicht, weil sie in Beata keine ebenbürtige Rivalin erblickt: von jener als »gut und treu, heiter und rein« (I/8) gekennzeichnet, wird sie  nicht nur als dramatische Figur uninteressant und nebensächlich. In Gestalt der geheimnisvollen Schlangen- und Feuerbeschwörerin Sigilgaita indes tritt eine weitere starke Frau an Adelasias Seite. Wenn sie vom Feuer und der Hoffnung als Gaben des Prometheus berichtet (III/1), weist sie damit einerseits auf die ursprüngliche Bedeutung von promhdeia als Vorsorge hin, die nicht unbedingt die Radikalität solcher realitätsverändernden Eingriffe meint, wie sie Adelasia betreibt. Andererseits ist zugleich auch ein tiefer Pessimismus mit der schecklichen Strafe assoziiert, die Prometheus als Freund und Wohltäter der Menschheit ereilt.  Die noch zur Rache für dessen Feuerdiebstahl gesandte Pandora lässt bekanntlich alle Übel dieser Welt entweichen – nur die Hoffnung hält sie in ihrer Büchse zurück …

Als eines dieser Übel, wie die Verkörperung des Bösen selbst erscheint Rainulf zunächst, doch Siegfried Wagner zeichnet ein differenzierteres Bild dieses mehr als zwiespältigen Charakters. Zwar trifft der Hinweis auf Schopenhauers Mitleidsethik bei Rainulf verständlicherweise auf taube Ohren (III/1), aber der jeweiligen Situation entsprechend kann er sich durchaus ebenso gebildet, intelligent und witzig wie intrigant, rücksichtslos und überheblich verhalten. Er ist eines Mordes schuldig (III/2), schreckt auch vor einem zweiten nicht zurück (II/8) und stiftet die sterbende Mutter zur Falschaussage (I/9) an, um seinen Bruder aus dem Weg zu räumen – gleichzeitig ermöglicht er jedoch Marta die Flucht mit Wilhelm (II/2), nimmt Adelasia gegen Beleidigung in Schutz (II/6) und sorgt sich angesichts der Schwere seiner Verbrechen manchmal doch um sein Seelenheil (III/1). In der Verfolgung seiner kriminellen Ziele und Absichten benimmt er sich geradezu prometheisch-vorausschauend, und als er schließlich sein Scheitern erkennt, zögert er nicht und vergiftet sich (III/2).

Am Ende also macht Adelasia Rainulfs verwerfliche Träume und Hoffnungen (I/9) zunichte – aber mit ihm schwindet zugleich auch ihr notwendiger Widerpart. Indem sie die Pläne Rainulfs mehr und mehr durchkreuzt, entzieht sie allmählich auch sich den Boden, und ihre Hoffnung, der Wahrheit ans Licht zu verhelfen (I/10), hebt sich in der Erfüllung zwangsläufig selbst auf – oder, wie es Heiner Müller aphoristisch formulierte: »Hoffnung entspringt einem Mangel an Information«.


Achim Bahr


Quelle: Programmheft zur Uraufführung von
Rainulf und Adelasia, Bad Urach 2003 (mit freundlicher Genehmigung des Autors)
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